Das türkische Game of Thrones

Die Macht der Seifenoper

Hazar Deniz Eker, Nevena Vračar | 03/08/2025

Schalten Sie im Balkan den Fernseher ein, landen Sie garantiert binnen Sekunden bei einer türkischen Seifenoper. Die dizis, wie Seifenopern auf Türkisch heißen, eroberten 2010 mit Tausendundeine Nacht unsere Bildschirme – eine moderne Adaption des Märchens über eine verwitwete Mutter und ihre aufopferungsvolle Liebe. Praktisch über Nacht fesselte die Serie über 40 Prozent der serbischen TV-Zuschauer und pulverisierte alle Einschaltrekorde. In Nordmazedonien lagen die dizis gleich nach den Nachrichten auf Platz zwei der Zuschauerlisten. Der Erfolg war so durchschlagend, dass ein Gesetzentwurf die Ausstrahlung begrenzen sollte – um die „Türkifizierung” der Gesellschaft zu stoppen. In Kroatien verfolgten 900.000 Menschen – fast ein Viertel der Bevölkerung – Das prächtige Jahrhundert, ein historisches Drama über Sultan Süleyman im 16. Jahrhundert. Ähnliche Zahlen aus Kosovo, Bosnien und Albanien bestätigen den Trend.

Die Seifenoper-Industrie

Trotz der militärischen Stärke der Türkei und ihrer wachsenden Bedeutung als Verteidigungspartner der EU wird ihre kulturelle Macht oft unterschätzt. Dabei sind dizis ein Milliardengeschäft: 170 Länder weltweit kaufen türkische Serien, die 2023 600 Millionen Dollar einspielten. Damit ist die Türkei nach den USA (mit 2,3 Milliarden Dollar Umsatz) zweitgrößter Seifenoper-Exporteur der Welt. Das Erdoğan-Regime nutzt diesen Kulturexport gezielt für politische und ideologische Zwecke. Produktionen des Staatssenders wie Diriliş: Ertuğrul – beworben als „türkisches Game of Thrones” – verbreiten einseitige Propaganda einer makellosen, glorreichen Vergangenheit. Kein Wunder, dass Schauspieler bei politischen Veranstaltungen an Erdoğans Seite auftreten, während die Titelmelodie der Serie ihn wie einen Wrestler ankündigt.

International dienen die Serien der Wiederannäherung an die einstigen osmanischen Gebiete. Der Balkan verbindet eine lange, komplizierte Geschichte mit der Türkei, dem ehemaligen Osmanischen Reich. In muslimisch geprägten Ländern wie Kosovo, Albanien oder Teilen Bosnien-Herzegowinas überrascht der Erfolg türkischer Serien wenig. Dass sie aber auch im orthodox-christlichen Serbien Rekorde brechen, verblüfft zunächst.

Sehnsucht nach osmanischer Nostalgie

Im Gegensatz zu den grellen, übersexualisierten lateinamerikanischen Telenovelas der frühen 2000er bieten türkische Serien etwas anderes: eine traditionelle, werte-orientierte Intimität, die in westlichen, besonders US-amerikanischen Produktionen verloren scheint.

Der Empfang war allerdings nicht nur positiv. Gerade in historischen Dramen, die eine geschönte türkische Vergangenheit zeigen, erscheinen Serben oft als ehrlose, betrunkene Wilde ohne Traditionsbewusstsein. Ein Beispiel: Blaue Schmetterlinge (Mavi Kelebekler) erzählt von der Bosnierin Aida, hin- und hergerissen zwischen dem Muslim Murat und dem Serben Marko während des Bosnienkriegs 1992-95. Serbische Zuschauer empörten sich über die einseitig negative Darstellung der Serben. Die Serie löste einen Sturm der Entrüstung und Kritik aus.

Obwohl die osmanische Herrschaft im Balkan oft verflucht wird, ist der türkische Einfluss im Alltag unübersehbar: von Burek und Baklava über den in der Džezva gebrühten Kaffee. Am deutlichsten zeigt sich die kulturelle Nähe in der Sprache: Ins Serbische flossen über die Jahrhunderte 8.000 türkische Lehnwörter ein – 3.000 nutzen wir noch heute. Diese Vertrautheit erklärt, warum serbische Zuschauer trotz historischer Ressentiments gemeinsam mit ihren Balkannachbarn propagandistische Erzählungen jenes Reiches konsumieren, das zu verachten sie ihre Geschichte lehrt.

Aus Scheinwelten wird echtes Geld

Die Türkei nutzt geschickt historische, ethnische und religiöse Verbindungen für regionale Ambitionen. Studien zeigen: Türkische Seifenopern verbessern – oder neutralisieren zumindest – das Türkei-Bild in der Region. Erdoğans diplomatische Offensive trägt Früchte: Serbien ist heute der wichtigste Handelspartner der Türkei auf dem Westbalkan. Nach zwei Jahrzehnten sorgfältig orchestrierter Diplomatie, Investitionen in Restaurierungsprojekte und Sprachkurse – und mit der halben Bevölkerung im Dizi-Fieber – war der Boden bereitet: Ende 2024 verkündete Präsident Vučić einen gemeinsamen Drohnendeal mit Erdoğan. Der Beweis, dass kulturelle und militärische Macht Hand in Hand gehen.

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